Wie eine kleine Auszeit in ungewohnter Umgebung dein Leben verändern kann …

30.05.2021

Eine kleine Auszeit bei Sturm und Regen in Holland

Holland. Während ich diese Worte schreibe, sitze ich hier in den Niederlanden. Genauer gesagt in Scharendijke, einem kleinen Dorf in Zeeland. Der Sturm wirft fette Regentropfen an die verkratzte Fensterscheibe. Ungemütlich. Es ist ungemütlich draußen. Aber hier drinnen ist es warm. Ich habe alles, was ich brauche. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

Nach fast 1 ¼ Corona bin ich dankbar für diese kleine Auszeit. Ich will nicht jammern. Nicht klagen. Und erst recht nicht undankbar sein. Sicherlich konnte nicht jeder die Zeit des Corona-Lockdowns so komfortabel verbringen, wie ich es konnte. Wie wir es konnten. Wir, das sind mein Sohn Mika und ich. Und unser kaffeebraunes Lockenköpfle – unser einjähriger Labradoodle Luke.

Kein Grund zur Klage … ABER

Meine Gedanken schweifen zu unserem großen, freundlichen Haus am Fuße der Schwäbischen Alb. Sonnendurchflutet. Stilvoll eingerichtet. Das Herzstück des Hauses ist ein großer Kaminofen, der an kühlen Herbst- und Wintertagen mit seinem prasselnden Feuer wohlige Wärme spendet. Direkt hinter unserem Haus geht unser Garten in eine große Wiese über. Im Frühling erstrahlt sie in einem kräftigen, satten Gelb. Übersäht von Löwenzahl. Die Wiese verschmilzt mit dem Anstieg zur 1000 Meter hochgelegenen Nordrandkante der Schwäbischen Alb. Der Albtrauf. Eine atemberaubende Landschaft. In der Tat lebe ich dort, wo andere ihren Urlaub verbringen. Wie gesagt: kein Grund zu Jammern. Kein Grund zur Klage. So lässt sich der Corona-Lockdown gut verbringen. Auch mein Sohn hat die gesamte Zeit super mitgezogen. Und auch wenn er seine Freunde vermisst, so ist Homeschooling doch genau sein Ding.

Die wachsende Sehnsucht nach einer Auszeit

Ja, wir haben es uns während Corona gut eingerichtet. Haben uns arrangiert. Und waren mit Luke jeden Tag draußen in der Natur. Streifzüge durch die Wälder. Durch die Hochebene der Schwäbischen Alb. 20.000 Schritte. Jeden Tag. Mindestens. Fitness für die Seele. Während andere durch die Corona-Zeit zugenommen haben, sind einige meiner Zuviel-Pfunde nach und nach geschmolzen. Einfach so. Vermutlich, weil der Alltagsstress ein anderer war. Ich traue es mich gar nicht zu schreiben, aber: Corona hat mir eine wunderschöne Zeit geschenkt… Und trotz allem Schönen ist trotzdem eine Sehnsucht in mir gewachsen. Eine Sehnsucht nach einer Auszeit. Nach einer kleinen Auszeit von diesem Corona-Alltag.

Der erste Camping-Urlaub meines Lebens

Eine Windböe rüttelt den kleinen Wohnwagen durch. Es ist der erste Camping-Urlaub meines Lebens. Seit ich mich erinnern kann, haben sich meine Eltern lustig über die Menschen gemacht, die ihren Urlaub in einem Wohnwagen oder Camper verbringen. „Käsroller!!!“ Insbesondere die Holländer wurden verbale Opfer so manch‘ einer Stichel- und Lästerei. Solche Attacken mündeten regelmäßig in Aussagen wie „Das  wäre nichts für uns! In so einem kleinen fahrenden Ding Urlaub zu machen …“. Und so kam es, dass ich noch während meiner Kindheit still und heimlich diese Feststellung unhinterfragt übernommen habe: „Urlaub im Wohnwagen ist nichts für mich!“ ….

Glaubenssätze lenken unser Leben

Es ist nur einer von vielen Glaubenssätzen, die ich unreflektiert übernommen habe. Sätze, die ich in den letzten Jahren mühsam identifiziert, aufgearbeitet und in neue Bahnen gelenkt habe. In befreiende Bahnen. Wir Psychologen nennen solche Sätze übrigens Glaubenssätze … wie seltsam sie doch unser Leben beeinflussen. Wie subtil sie uns doch die Wege versperren….

Ich schaue aus dem Fenster. Die Sonne versucht, sich einen Weg durch den wolkenverhangenen Himmel zu bahnen. Es gelingt ihr nicht. Ich richte meinen Blick auf das Innere des Wohnwagens. Alles ist klein. Beengt und auf engstem Raum organisiert. Die Einrichtung hat ihre beste Zeit gesehen. Schon lange gesehen. Die Möbel spiegeln den speziellen Charme der 80er Jahre. Unser Urlaubszuhause gehört meiner Freundin Katja und ihrem Mann Michael. Trotz der Enge fühlen wir uns hier wohl. Mein Sohn Mika, unser Labradoodle Luke und ich. Heimelig ist es. Sauber ist es. Good Vibrations – wie ich so gerne sage.

Eine Einladung – auf Leistung folgt Gegenleistung

Katja hat uns zu diesem Urlaub eingeladen, als ich ihr gegenüber meinen Wunsch nach einer kleinen Auszeit geäußert hatte. Und – für mich ziemlich spontan – habe ich tatsächlich ihre Einladung angenommen. Denn auch darin bin ich nicht gut. Im Annehmen von Gesten und Geschenken. Und auch dahinter steckt ein Glaubenssatz. Ein Satz, der vermutlich wie folgt lautet: „Nimm keine Geschenke an, sonst bist du dieser Person was schuldig!“ Tatsächlich ist es mir schon immer schwer gefallen, Geschenke und Gefallen anzunehmen. Und wenn ich dann doch was angenommen habe, so überhäufe ich die gebende Person mit Dankes-Geschenken. Auf jede „Leistung“ erfolgt quasi eine „Gegenleistung“. Dead-Dating nennen wir Psychologen das. In den allermeisten Fällen ist dieses Verhalten ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Eine transgenerationale Traumaweitergabe aus Kriegszeiten. Aus der Kindheit meiner Eltern. Na prima, noch ein unsichtbares Erbe. Der Wohnwagen von Katja und Michael steht übrigens das ganze Jahr über hier in Holland. Die beiden waren ein paar Tage zeitgleich mit uns hier. Mit ihrem Camper. Als sie vorgestern abreisten, verabschiedete Katja sich von mir mit folgenden Worten: „Und DANKE nochmals… Du hast uns ja mit Geschenken überhäuft!!!“ … Ja, so ist das mit dem Dead Dating…. eine kleine Geste meinerseits hätte genügt. Aber hätte ICH dann genügt?

In die Jahre gekommen …

Nie im Leben hätte ich mir vorstellen können, eines Tages in einem Wohnwagen Urlaub zu machen. Geschweige denn in einem in die Jahre gekommenen Wohnwagen. Gute Hotels und 4-Sterne Ferienwohnungen sind normalerweise meine Welt. Oder soll ich besser sagen: waren meine Welt? Denn nun sitze ich ja hier. Nehme mir eine kleine Auszeit vom Corona-Alltag und genieße jede Sekunde in dieser klitzekleinen Behausung.

Ein Lächeln huscht mir über das Gesicht. Nicht nur der Wohnwagen hat den typischen Charme der 80er… Auch ich habe zu dieser Zeit meine Jugend erlebt. Auch bei mir sind abgeschrabbelte Kanten zu sehen. Deutlich sogar.

Und dann lache ich über mich. Herzhaft. Meinen Ecken, Kanten und Falten tut diese liebevolle Auszeit gut. Dieses „Sein“ ohne Schnick. Ohne Schnack. Und auch ohne Schnuck. Ungeschminkt den Alltag leben, ungeschminktes Alltagsleben. I like!

Auszeiten sind sinnliche Streicheleinheiten

„Ungeschminkt“. Ich bleibe an diesem Wort hängen. Meine Gedanken wandern zu meinem Job als Coach. Als „guter Coach“ reflektiere ich regelmäßig über mich und hinterfrage mich durchaus selbst. Zum Beispiel, wie ungeschminkt ich eigentlich bin. Wie glaubwürdig in dem, was ich sage. Was ich tue. Und was ich empfehle. Jedem meiner Kunden zum Beispiel würde ich aus voller Überzeugung regelmäßige Auszeiten vom Alltag ans Herz legen. Egal, wie komfortabel sonst dieser Alltag auch ist. Auszeiten sind Balsam für die Seele. Nahrung für den Geist. Sinnliche Streicheleinheiten für sich selbst. Aber mir selbst? Gönne ich mir selbst auch solche Auszeiten?

Meine Antwort formuliert sich schnell und ist eindeutig: Doch. Ja! Und tatsächlich auch nicht zu wenig. Ich würde sogar sagen, dass ich ziemlich gut darin bin – im Auszeiten nehmen. Ich bewege mich jeden Tag – merke genau, wo meine Grenzen sind und ziehe in den allermeisten Fällen rechtzeitig an der Handbremse. Kundentermine finden in der Regel nicht vor 9.30 Uhr statt. Freitags arbeite ich nie. (Warum sonst hat dieser Wochentag einen solch eindeutigen Namen?) Meine Arbeitstermine sind nicht zu dicht aneinander gelegt. Und der Hausputz kann ruhig auch mal ein paar Tage liegen bleiben.

Glaubenssätze sind die Triebfedern für unser Verhalten

Ja, ich kann das. Auszeiten nehmen. Auf mich achten. Fakt ist aber auch, dass ich auch das nicht immer konnte. Mühsam musste ich erst den entsprechend hemmenden Glaubenssatz ausfindig machen und neu formulieren. Meine Entdeckung dabei: unser Gehirn ist eine ziemlich große Festplatte, auf der allerhand solcher Glaubenssätze-Unsinn gespeichert ist …

  • „Wer rastet, der rostet“.
  • „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Und erst recht nicht auf übermorgen“.
  • „Nur wer hart arbeitet, der bringt es zu etwas.“
  • „Auszeiten können wir uns nicht leisten.“
  • „Es gibt immer etwas zu tun. Wer nichts tut, ist ein Faulpelz. Und Faulpelze sind schlechte Menschen.“

Sicherlich gab es Zeiten, in welchen solche Glaubenssätze eine gewisse Daseinsberechtigung und ihren Sinn hatten. In der Regel sind das aber längst vergangene Zeiten. Sie passen nicht mehr in unsere heutige schnelllebige Welt. Besonders schlimm finde ich übrigens, wenn ich in meinen Coachings auf den Glaubenssatz „Erst wenn es allen anderen gut geht, dann darf es auch mir gut gehen!“  stoße.

Meine Reaktion darauf? „Nur, wem es gut geht und wer im inneren Gleichgewicht ist, der kann langfristig dafür sorgen, dass es anderen auch gut geht“. Damit meine ich übrigens nicht, dass wir ein ichbezogenes Leben führen sollen und jeder nur noch auf sich und seine eigenen Bedürfnisse achten soll. Für mich bedeutet es, sich kleine und auch größere Auszeiten zu gönnen, um sein eigenes Füllhorn zu stärken. Denn nur wer hat, der kann auch geben.

Es gilt also, hinderliche Glaubenssätze aufzuspüren und sie in positive zu verwandeln. Gar nicht so einfach. Aber lohnenswert. Positive Glaubenssätze schenken Lebensqualität.


Wenn der Regen aufhört …

Der Regen hat aufgehört. Draußen scheint inzwischen die Sonne. Ich wecke meinen Sohn und gemeinsam mit Luke gehen wir an den Nordsee-Strand. Den Wind um die Nase wehen und die Haare zerzauseln lassen. Wellen fangen. Muscheln sammeln. Sonnenstrahlen angeln. Unbeschwert die Auszeit vom Corona-Alltag genießen. Ohne Maske. Ohne Homeschooling. Ohne AHA-Regeln. Ohne den gegenseitigen Argwohn der Menschen, ob du wohl zu der einen oder zu der anderen Corona-Seite gehörst. Der Strand ist groß genug. Er hat keine Seiten. Und wenn, dann nur schöne…

Und nachher? … Der kleine Wohnwagen wartet auf uns und wird uns herzlichen willkommen heißen. In seinem wunderschönen Charme der 80er Jahre. Kleine Auszeit – große Wirkung. Ich bin dankbar für mein Leben.

♥ ♥ ♥

PS – Postskriptum

Was bedeutet für dich „kleine Auszeit“ vom Alltag? Wann gönnst du sie dir? Und wann nicht? Warum nicht?

Welche Glaubenssätze aus deiner Kindheit lenken dein Verhalten? Welche davon sind offensichtlich? Welche spürst du und kannst sie aber nicht benennen? Bekommst sie nicht zu fassen? Wie wäre es mit einem befreienden Coaching?

Denk mal drüber nach und hummel gemeinsam mit uns!

♥ ♥ ♥

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