Die letzten Wochen waren nicht einfach. Vermutlich sind diese Worte eher noch untertrieben. Meinem Vater ging es gesundheitlich sehr, sehr schlecht und innerlich haben wir uns zum ersten Mal intensiv damit befasst, Abschied zu nehmen. Aber er hat nochmals die Kurve bekommen. Eine Kurve auf Zeit.
Die letzten Wochen waren laut und schnell. In Notaufnahmen ist immer ein geschäftiges Treiben. Ein Piepsen hier, ein Stöhnen dort. Rasche Bewegungen, die einen erahnen lassen, dass die Menschen wissen, wo sie in der Not der Patienten anpacken müssen.
Die letzten Wochen waren Zeitzeugen eines Rollenwechsels. Nicht einfach nur ein Tausch von Kleidung wie bei einem Theaterstück. Wenn die Eltern älter werden und von einen Tag auf den anderen klar ist, dass sie auf deine Hilfe angewiesen sind, dann sind das tiefgreifende Veränderungen auf der Bühne des echten Lebens.
Die letzten Wochen haben mir gezeigt, wo meine Grenzen liegen. Ja, ich habe mir zwar in Gedanken schon häufig vorgestellt, wie es wohl werden wird. Mich innerlich vorbereitet. Aber das Erleben ist dann doch eine ganz andere Hausnummer. Manches, von dem, was ich mir nicht vorstellen konnte, habe ich getan. Einfach so. Anderes, von dem ich dachte, ich könnte es, funktionierte hingegen nicht.
Stille konnte in den letzten Wochen nicht aufkommen. Vielleicht durfte sie auch nicht aufkommen. Erst jetzt, wo die kritische Phase erstmal überwunden ist und der Abschied auf die Wartebank gesetzt wurde. Dort soll er übrigens möglichst lange sitzen bleiben – der Abschied.

Ich, die die Stille doch so sehr liebt, hat plötzlich Respekt vor ihr. Wobei Respekt etwas anderes ist als Angst, denn ich weiß, dass die innere Stimme, die sich in der Stille Gehör verschafft, es trotz ihrer oft unerträglichen Ehrlichkeit immer gut mit uns meint. Stille braucht Mut. Weil ich dann sehe, was kommen wird. Unausweichlich. Weil es der Lauf der Dinge ist.
Heute habe ich mich mutig der Stille gestellt. Und sie hat mir ein Geschenk gemacht. Sie hat mir Tränen geschenkt. Und mit ihnen das Wissen, dass dieser Abschied sein darf. Auch ich werde mich eines Tages verabschieden müssen…. Aber wie gesagt… noch soll er – der Abschied – ein Weilchen auf der Wartebank Platz nehmen. Meiner UND der meines Vaters.
♥ ♥ ♥
PS – Postskriptum
Und was zeigt sich dir in der Stille?
Welchen Ängsten begegnest du?
Und wie möchtest du mit diesen Ängsten umgehen?
Denk mal drüber nach ….
Wow, liebe Tanja,
danke für Deine Geschichte! Mein Vater, den ich seit dem Tod meiner Mutter vor 18 Jahren unterstützt habe, ist vor 1, 5 Jahren plötzlich gestorben und gerade jetzt ist eine Bekannte zu Besuch, deren Vater wiederum vor 7 Wochen gestorben ist. Ich freue mich für Dich, daß Du Deinen Vater noch länger in Deinem Leben haben darfst. Und ja, es ist eine große Herausforderung, wenn die Eltern alt und hilfsbedürftig werden! Ich habe mich damals in einer Rolle wiedergefunden, in der ich so nie sein wollte. In manchen Situationen bin ich gescheitert und habe es nicht gut gemacht. Aber: ich habe getan, was an jedem einzelnen Tag möglich. Und Du kümmerst Dich mit Sicherheit nach Deinen Kräften und Möglichkeiten! Ich wünsche Dir, daß Du die Zeit mit Deinem Vater noch nutzen kannst und ihm spüren lassen kannst, wie wichtig er für Dein Leben ist, und dass Du gerade jetzt, wo es manchmal vielleicht schwierig ist, dass er nie zuviel, Du manchmal aber einfach zu wenig bist. Lache und weine, alles ist richtig. Im März ist das Motto „Herzöffnung „. Mach‘ Dein Herz weit, Tanja, und alles wird sich fügen, zu seiner Zeit.
Ich wünsche Dir eine bewusste, achtsame Zeit,
Andrea
Hallo, liebe Andrea,
vielen lieben DANK fürs Teilen deiner Gedanken, die mir so vertraut vorkommen. 🙂
Die größte Herausforderung (neben dem Abschied) ist in der Tat die Dick- und Sturköpfigkeit der beiden. 🙂
Aber lass uns auf die Zehenspitzen stellen… der März naht 🙂
Liebe Grüßle
Die Tanja 🙂
Liebe Tanja, ich lese deine Zeilen und ich fühle mit dir – ich muss weinen.
Ich habe vor einigen Jahren Abschied genommen von meinem Vater. Wir haben nicht geredet. Also nicht so , als könnte man es als Kommunikation werten. Zwischen uns gab es nie einen wirklichen Austausch. So schwer es auch scheint, du darfst die Chance ergreifen, zu reden. Dinge anzusprechen…. Relationen zu verschieben… Blickwinkel zu verschieben. Ich fühle mit dir und ich fühle den Schmerz in deinen Worten – aber du hast die Chance Fragen zu stellen, Sätze zu formulieren, Dankbarkeit auszudrücken und Sprachlosigkeit zur Sprache zu bringen. Das ist ein Geschenk. Ich bin mir sicher, dass du darum weisst. Es wäre schön, wenn du diese Chance ergreifen könntest. Ich hoffe, ich bin nicht übergriffig in der Wahl meiner Worte. Ich wünsche dir und deinem Vater eine erfüllte Zeit in LIebe und Verständnis und ich danke dir, dass du uns teilhaben lässt.
Liebe Martina,
die Kriegskindergeneration unserer Eltern sind leider eine „schweigende“ Generation, die über die wirklich wichtigen Dinge nicht gut reden kann. In meinem ersten Buch habe ich vor über 10 Jahren auf diese Weise das Gespräch begonnen. Auf diese Weise gibt es in allen Büchern klärende Worte. Mein Vater ließt gerade ein Buch, das ich meinen Eltern vor über 10 Jahren geschenkt habe. „Die vergessene Generation“ von Sabine Bode. Ich weiß, dass ihm die Worte fehlen und er trotzdem spricht. Und „nein“, du bist gar nicht „übergriffig“. Du sprichst genau das Thema an, was viele, deren Eltern der Generation der Kriegskinder angehören, erleben. Ein schwieriger Dialog, der oft nur einseitig geführt werden kann, weil die andere Seite nicht spricht. Nicht sprechen kann. Weil sie es nie gelernt haben. Was dann hilft ist, wenn wir sprechen. Das muss nicht immer das Gespräch mit den Eltern sein, sondern das können Worte sein, die wir schreiben. Auch das hilft. Hab vielen DANK für deine lieben, zugewandten Worte.
Alles Liebe
Die Tanja
Liebe Tanja,
ich kann deine Gedanke so sehr nachspüren. Ich denke an dich und wünsche dir noch ein bisschen Zeit mit deinem Vater.
Eine große Umarmung,
Claudia
Liebe Claudia, 🙂
DANKE für deine lieben Worte… Werden wir noch haben… und meine Mutter darf auch noch ein Weilchen dabei sein. 😉
Bis hoffentlich bald mal wieder.
Deine Tanja 🙂
Liebe Tanja,meine Mutter ist vor 10 Tagen auf der Intensivstation verstorben,nachdem ich entschieden habe die Geräte abzuschalten.Wir hatten seit ihrem Schlaganfall 4 Jahre vom Abschied geschenkt bekommen und trotzdem ist der Schmer und die Stille unerrmäßlich.
Aber die Stille hilft auch momentan Abschied zu nehmen,denn nur in der Stille kommen die schönen Erinnerungen hich.
Liebe Fatma,
betroffen lese ich deine Worte und vermag mich nicht wirklich in diese so unendlich schwere Entscheidung hineinzuversetzen. Ich fühle mit dir … mehr Worte braucht es nicht. Ja, in der Stille kommt auch der Schmerz. Und ich kann es fühlen, dass die Stille auch dabei hilft, Abschied zu nehmen. Ich wünsche dir von ganzem Herzen unzählige schöne Momente der Erinnerungen. Momente voller Lachen und voller Liebe.
Alles Liebe für dich
Deine Tanja
Irgendwie bereite ich mich mein ganzes Leben in vielen Bereichen immer auf ein Ereignis vor das mich bekümmert um dann festzustellen das es nicht eingetreten ist – groß ist die Freude dann.
Ich hab bestimmt ne 5 in Mathe.
Oh ne zwei. Wie schön.
Der Vortrag im Job wird die Hölle. Die werden mich zusammenfalten.
Na das lief doch richtig gut. Alle waren begeistert.
Mein Hund ist bestimmt sterbenskrank. Vielleicht bekommt er die eine Spritze heute.
Oh nur den Magen verdorben. Er wird wieder fit sein am Wochenende.
Immer dieselben Gedankenmuster.
Ähnlich verhält es sich mit meinen Eltern. Beide an die 80. Lange wird es nicht mehr gutgehen. Ich mal mir in Gedanken alles aus um nicht böse überrascht zu werden.
Aber ich denke das dieser Trick beim Verlust der Eltern nicht wirklich so funktioniert. Die Dimension ist einfach eine andere.
Aber ja : Das Bewusstsein das Sterben zum Leben dazugehört hilft. Und ich bin nicht allein. Jeden Tag machen Kinder dieses Erlebnis mit sich aus. Die Zeit heilt dann die Wunden – jedenfalls zum Teil.
Lieber Ralf,
ich liebe deine Worte und deine Gedankengänge … und auch deinen Blick auf diese so große Thematik des Abschiednehmens 🙂
Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen… es wird Zeit, oder? 🙂
Alles Liebe
Die Tanja 🙂
Liebe Tanja, auch ich wünsche Dir noch Zeit mit deinen Eltern.
Ich bin froh, daß mein Vater und ich uns einig waren am Tag bevor er unerwartet vor vielen Jahren gegangen ist. Es war keine Zeit mehr, zu reden, obwohl das auch nicht unbedingt seine Königs-
disziplin war.
Es sind seit dem die wichtigsten Menschen in meinem bisherigen Leben gegangen. Klärung konnte oder sollte auch da nicht sein.
Es hätten sicher auch liebe Worte oder einfach ein großes Danke genügt.
Mit Stille kann ich meist gut umgehen und ich finde sie bei langen Spaziergängen in der Natur. Auch in der Meditation, wenn ich das mal hinbekomme.
Sie ist ein wichtiger Teil meines Lebens und ich habe einen schönen Ort gefunden, wo meist wenig Menschen unterwegs sind, der mich immer wieder gut runterkommen lässt, in aufregenden Zeiten.
LG und alles Gute für dich
Petra
Liebe Petra,
bitte entschuldige meine späte Antwort. Ich hänge dem Zeitplan hinterher 🙂
DANKE für deine liebe Gedanken. Ja, das Reden ist leider keine Königsdisziplin dieser Generation. Mathias Lohre hat dazu ein Buch geschrieben „Das Erbe der Kriegsenkel. Was das Schweigen unserer Eltern mit uns macht“.
Ja, die Stille ist auch für mich eine tolle Begleiterin… ich begegne ihr meistens im Wald, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin.
Alles Liebe für dich!
Die Tanja
Liebe Tanja,
ups! Respekt, der Artikel hat es in sich. Das mit der Stille ist so eine Sache. Ich glaube, ich habe von Natur aus, so ein Gedankenkarusell mitbekommen. Ob das stimmt weiss ich nicht. Stille war eine Zeit nicht für mich machbar. Andere haben sich in Situationen hingesetzt und ich bin angefangen zu putzen. Danach erst ging es mir gut. Seit gut 1 Monat, warum es so ist weiss ich nicht. Es war auf einmal da. Da verlangt mein Körper die Stille und Frieda kuschelt (Katze) sich immer an mich. Sie merkt das es mir nicht gut geht und Ihr schnurren, beruhigt mich. Endlich kann ich auch wieder Bücher lesen. Das war eine Zeitlang ganz schwer. Das Gedankenkarusell ist immer da, aber endlich laufen auch wieder die tränen und das tut so gut.
Meine Eltern sind sehr früh verstorben. Meine Mutter mit 41, da war ich 21 und mein Vater mit 64 und ich war 39. Mich verabschieden ging nicht. Ich sehe meine Mutter immer noch im Rückspiegel winken. Das war das letzte mal. Die letzten Minuten hat mein Vater auf mich auf der Intensivstation gewartet. Frag mich nicht, wie ich nach dem Anruf vom Krankenhaus losgefahren bin. Der Weg ist in meinem Kopf wie weg, nur das ich auf einmal am Krankenhaus war und mir ganz komisch kalt wurde. So wurde es nie wieder kalt in mir. Ganze 4 Minuten hatten wir noch. Man kann sich nicht auf solche Situation vorbereiten, das habe ich gelernt. Der Körper reagiert, wie er meint.
Danke für diesen Beitrag. Er tut mir so gut.
Liebe Grüße, Elke
Liebe Elke,
bitte entschuldige meine späte Antwort. Deine Worte berühren mich sehr und jedes Wort ist gefühlt zu viel. Ich bin mir aber sicher, dass du spürst, dass ich ahne, was diese frühen Abschiede mit dir gemacht haben und wie sie dich bis heute begleiten. Ich schreibe bewusst „ahne“, weil „verstehen“ nicht richtig wäre. Nur wer wie du selbst einen solch frühen und unerwarteten Verlust erlebt hat, kann einigermaßen verstehen, was das mit dir gemacht hat. Ja, die Stille…. sie erfordert Mut. Weil sie oft schwer auszuhalten ist und weil sie nicht nur Ängste, sondern uns auch unsere Sehnsüchte zeigen. Ich wünsche dir, dass du auch weiterhin immer wieder Zugang zu deinen Tränen findest. Denn sie sind es, in welchen unsere Lieben weiterleben… In Verbundenheit – auch wenn wir uns nicht persönlich kennen. Deine Tanja